Träume und Alpträume
Die aufwendige Ausstellung in der Städtischen Galerie im Alten Rathaus in Wittlich musste aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie am 1. November 2020 geschlossen werden, und niemand kann die herausragenden Arbeiten des großen Künstlers, die dem Kulturamt der Stadt Wittlich von unterschiedlichen privaten Sammlern zur Verfügung gestellt wurden, betrachten. Einzelne Zyklen stellt das Kulturamt in der „Wittlicher Rundschau“ in einer losen Serie vor; alle Bilder der Ausstellung sind unter www.kulturamt.wittlich.de zu sehen.
Der Zyklus „Opus XIII. Vom Tode. Zweiter Teil“ gilt als das graphische Hauptwerk Klingers, an dessen Vervollkommnung er fast ein Vierteljahrhundert arbeitete. Neun Platten verwarf er während der Entwurfsphase. Er verwandte Kolophonium-Aquatinta, stäubte Bereiche mit Hand, setzte Schmirgelpapier ein und arbeitete mit der Grabsticheltechnik. Von den insgesamt zwölf Blättern des Werkes konnten für die Wittlicher Ausstellung sieben entliehen werden.
„Vom Tode. Zweiter Teil“ widmet sich der Vergänglichkeit der Menschen, dem Massentod in Form von Krieg, Pest und Elend, den Gipfelpunkten der Menschheit, also Herrscher, Genie und Philosoph, Begriffe, die man heute sicher nicht mehr nebeneinander stellen würde. Die Unumgänglichkeit des Werdens und Vergehens bilden den dritten Teil der Bilderreihe, die nach schrecklichen Sequenzen versöhnlich mit „An die Schönheit“ endet.
Das erste Blatt „Integer vitae“ (Übersetzung Klingers: „Im Lebenswandel rein“) zeigt im Hintergrund neben einem Vulkan eine gigantische Skulptur, die über einer zerstörten Landschaft thront. Rechts ein Abhang, an den sich die stürzenden Gründer der Weltreligionen (Buddha, Zeus, Moses, Christus, Mohammed) klammern. Und aufrecht schreitet ein nackter junger Mann auf den Abgrund zu. Ebenso apokalyptisch anmutend erscheint Blatt 9 „Tote Mutter“. Auf der Brust der Leiche einer schönen jungen Frau sitzt ein ca 2jähriges nacktes Kind, das fragend den Betrachter anblickt. „Warum?“. Die Blätter 5 und 7, „Krieg“ und „Elend“ beschreiben die Plagen der Menschheit, während Blatt 3, der „Philosoph“, 8 „Und doch“ sowie 12 „An die Schönheit“ der Hoffnung, Kraft, dem Geist, Überlebenswille und der Ästhetik gewidmet sind.
Inspiriert wurde Max Klinger durch die intensive Lektüre von Arthur Schopenhauers Werk „Parerga und Paralipomena“ (1851). In diesen Aphorismen setzt sich der Philosoph mit dem Werden und dem Vergehen, dem unendlichen Lebenskreislauf der Menschheit zwischen Schmerz und Glück, Tod und Leben, auseinander.